Carsten Kasprzok
"Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · Band 27
496
Seiten ·
44,80 EUR
(inklusive MwSt. und Versand)
ISBN
978-3-89518-488-8
(Dezember 2004
)
Personenregister
Heinrich Dietzel (1857-1935) war zu seinen Lebzeiten ein hochgeachteter Gelehrter, aber zugleich wie sein akademischer Lehrer Adolph Wagner ein Außenseiter, der sich von keiner der damals dominierenden wirtschaftswissenschaftlichen Schulen vereinnahmen ließ. Methodologisch ging es ihm darum, den Erkenntnisbereich der "Socialökonomik" so exakt wie möglich zu bestimmen, um Theorie, Ethik und Politik systematisch verorten zu können. Dabei verwarf er den historistischen Ansatz, weil mit ihm das wirtschaftliche Geschehen nicht zu erklären sei. Wirtschaftstheoretisch wurzelte sein Denken hauptsächlich in der englischen Klassik. Deren Lehrgebäude wollte er ausbauen. So entwickelte er etwa in Auseinandersetzung vor allem mit Eugen von Böhm-Bawerk eine duale Werttheorie, in der er die (klassische) Produktionskostentheorie mit der (österreichischen) Grenznutzenlehre zu verbinden suchte. Seine wirtschaftspolitische Einstellung war liberal-individualistisch geprägt. Er trat entschieden für das Konkurrenzprinzip, das Recht auf Privateigentum sowie für eine Ordnungspolitik ein, die den Wettbewerb sichert und den technischen Fortschritt begünstigt.
Kasprzoks Studie fügt dem Bild, das man sich heutzutage von der Ökonomik in Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert macht, viele Facetten hinzu, indem er Dietzels Leben und Werk erstmals in allen Einzelheiten und unter Ausschöpfung bislang unbekannter Quellen beschreibt und analysiert. Dabei werden Dietzels Beiträge zur Methodologie, Wirtschaftstheorie, Ideengeschichte, Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft stets im biographischen Kontext dargestellt, mit zeitgenössischen Auffassungen konfrontiert und aus heutiger Sicht beurteilt.
Im Anhang finden sich u.a. eine chronologische Bibliographie der Schriften Dietzels sowie einige ihn betreffende, bisher noch nie veröffentlichte Briefe und Fotos.
"In seinem Kampf um die 'reine' Wirtschaftstheorie stand Dietzel somit auf gemeinsamem Boden mit den österreichischen Ökonomen der Grenznutzenschule um Carl Menger (1840 bis 1921). Aber im Gegensatz zu den an individuellem Nutzerempfinden und psychologischen Erklärungen ausgerichteten 'Grenznutzlern' erhoffte sich Dietzel im Anschluß an den Klassiker Ricardo eine Versöhnung von objektiver und subjektiver Wertlehre, die an den Produktionskosten als Entscheidungsvariable und als Preis- und Wertbestimmungsfaktor festhält. Diese Angriffe auf die Grenznutzentheorie ... führten zu heftigen Debatten, vor allem mit dem Menger-Schüler Eugen von Böhm-Bawerk (1851 bis 1914). ...
Diese Debatten und theoretischen Überlegungen des 'einsamen Epigonen der klassischen Ökonomie' (wie ihn Ludwig von Mises einst nannte) erstmals umfassend dargestellt und gewürdigt zu haben ist das Verdienst von Carsten Kasprzok. Die sorgfältige und detailfreudige Dissertation, die unter der Betreuung des renommierten Hamburger Dogmenhistorikers Heinz Rieter entstand, bietet neben einer Darstellung des theoretischen Werks von Dietzel eine ausführliche, auf Nachlaßdokumente gestützte Biographie sowie detaillierte Erörterungen zur zeitgenössischen Rezeption seiner Schriften.
Die Arbeit Kasprzoks ist somit nicht nur Nachschlagewerk mit Blick auf den Bonner Ökonomen, sondern zugleich eine Fundgrube für die verschiedenen Kontroversen in der deutschsprachige Wirtschaftswissenschaft zwischen 1880 und 1930. ...
Verdienstvoll ist außerdem, daß Kasprzok auch das wirtschaftspolitische Werk Dietzels würdigt. Dietzel vertrat eine dezidiert liberal-individualistisch geprägte Linie, die zugleich ein Plädoyer für das Konkurrenzprinzip, klar definierte Eigentumsrechte und eine umfassende Ordnungspolitik war. Ebenso trat Dietzel entschieden für die ökonomische Überlegenheit des Freihandelssystems ein - auch hierin war er ein Sonderfall unter seinen Kollegen. ...
Kasprzok gelingt am Beispiel von Heinrich Dietzel ein ertragreicher Überblick zu den Ideen und Vorstellungen der abstrakt-theoretisch ausgerichteten Forschung in Deutschland in den Jahren der Dominanz der Historischen Schule. Dietzel war hierbei einer der Hauptvertreter der theoretischen Richtung. Daß 1925 Joseph Alois Schumpeter (1883 bis 1950) sein Nachfolger in Bonn werden konnte; zeigt, wie wichtig diese Traditionslinie war."